"Das war das Ende von Mainz"-
ein Zeitzeuge berichtet.
[Anmerkung: Das folgende Interview führte Leonie von Bremen im Auftrag des SWR, veröffentlicht 26.02.2010. Das Original Interview finden sie hier.]
20 Minuten dauerte der Bombenangriff der britischen Luftwaffe, der die Mainzer Innenstadt am 27. Februar 1945 in ein Inferno aus Flammen und Rauch verwandelte. Als er vorüber war, gab es das alte Mainz nicht mehr: 80 Prozent der Innenstadt waren zerstört. Der Angriff kostete mehr als 1.200 Menschenleben. Der damals 16 Jahre alte Anton Maria Keim entkam nur knapp dem Tod. Für SWR.de erinnert er sich.
SWR.de: Herr Dr. Keim, denken Sie noch oft an den 27. Februar 1945?
Dr. Anton Maria Keim: Dieser Tag bleibt mir bis heute in leidvoller Erinnerung. Ich werde nachts manchmal wach und weiß gar nicht, warum ich noch lebe. Ich zucke heute noch zusammen, wenn ich eine Sirene höre oder wenn mich etwas an Flakfeuer erinnert. Das Knistern und das Brennen der Stadt bleibt mir ewig in Erinnerung.
Was haben Sie gemacht, als der Fliegeralarm Sie überraschte?
Ich war damals untergetaucht, um weder zum Fronteinsatz eingezogen noch deportiert zu werden (Anm. der Redaktion: Keims Großmutter war Jüdin).
Nachmittags war ich mit dem Fahrrad in der Mainzer Innenstadt unterwegs, um mich in zwei Buchhandlungen umzusehen, in denen es alte und verbotene Bücher gab. Als der Fliegeralarm um kurz nach 16 Uhr losging, wollte ich mich in den Osttürmen des Doms in Sicherheit bringen. Ich war auf der Höhe des Proviantamtes und fuhr eilig los, geriet aber am Schillerplatz in den Bombenhagel.
Ich habe dort den Angriff im Hausflur der Elsässer Bank verbracht. Aus dem Keller unter mir drang Geschrei: Gas- und Wasserleitung waren geplatzt und die Leute ertranken und erstickten. Ich hatte Glück, ich konnte nach diesen furchtbaren 20 Minuten mit einer leichten Rauchvergiftung auf meinem Fahrrad mit Mühe und Not aus dem brennenden Mainz herauskommen - auch wenn bis heute nicht genau weiß, wie.
Wo sind Sie hingefahren?
Ich wohnte damals in Hechtsheim. Von der Hechtsheimer Höhe aus habe ich die brennende Stadt gesehen, wie eine einzige Fackel, die sich nach oben zusammenschloss. Ich habe wie ein Kind geheult. Uns war damals klar: Das ist das Ende von Mainz. Die Stadt war kaputt und blieb es über Jahre. Der Dom blieb stehen - ein wahres Wunder! Er war das Symbol für Beständigkeit.
Im Kapuzinerkloster kamen damals 41 Schwestern ums Leben. Vielleicht haben diese Märtyrerinnen dafür gesorgt, dass ich überlebt habe.
SWR.de: Waren unter den Opfern auch Bekannte von Ihnen?
Dr. Anton Maria Keim: Ja, eine ganze Menge. Unter anderem Schulkameraden, die erstickten oder nicht rechtzeitig in den Keller kamen. Zwischen dem Alarm und dem ersten Bombenteppich lagen ja nur Minuten. Der Schillerplatz war noch voll von Leuten, mit Kindern und Kinderwägen, die sich in die Keller flüchten wollten. Der Platz hatte damals ein Holzpflaster. Die eingebrannten Leichen waren noch monatelang zu sehen. Von den Dächern tropfte geschmolzenes Zinn, den Leichendunst habe ich heute noch in der Nase. Man sagt, es gab 1.200 Tote, aber wer weiß das schon so genau. Es wurden noch Jahre später Leichen ausgegraben.
Wie haben Sie das Erlebnis verarbeitet?
Man war froh, überlebt zu haben und bangte den letzten Kampfhandlungen zwischen der US-Armee und der fanatischen SS entgegen. In den letzten Tagen wütete noch einmal die SS und erschoss drei Familienväter, die die weiße Fahne gehisst hatten. Mein Onkel gehörte zu den Opfern. Als der erste Panzer in Hechtsheim einzog, waren wir beglückt. Wir haben die Amerikaner als Befreier von Bomben und Terror begrüßt. Es war eine große Erlösung. Die Amerikaner waren von dieser Begrüßung völlig überrascht.
Wie haben diese Erfahrungen Ihr Leben geprägt?
Sehr stark, ich war als Sozialdemokrat und Pazifist immer wieder tätig in der Friedensbewegung. Ich war ein Gegner der Aufrüstung. Und ich kann nicht verstehen, dass wir aus Bündnisverpflichtungen wieder in den Krieg ziehen müssen.
Kann man die Luftangriffe auf deutsche Städte mit den Angriffen der Wehrmacht auf englische Städte wie Coventry vergleichen?
Der totale Luftkrieg ist von den Deutschen begonnen worden. Die Nazis haben gesagt, man werde englische Städte ausradieren wie Coventry, "coventrisieren". Ich bin kein Freund davon, dass das eine die Rache des anderen ist. Aber eins hat schon ursächlich mit dem anderen zu tun. Das entschuldigt nicht den Luftkrieg des "Bomber-Harris"(Anm. der Redaktion: Arthur Harris war damals Oberkommandant der britischen Bomberflotte, der auch die Bombardierung von Dresden befahl) zur Demoralisierung der deutschen Bevölkerung. Aber man muss wissen, wie die damaligen Verhältnisse waren, einschließlich des Massenmordes an den Juden.
20 Minuten dauerte der Bombenangriff der britischen Luftwaffe, der die Mainzer Innenstadt am 27. Februar 1945 in ein Inferno aus Flammen und Rauch verwandelte. Als er vorüber war, gab es das alte Mainz nicht mehr: 80 Prozent der Innenstadt waren zerstört. Der Angriff kostete mehr als 1.200 Menschenleben. Der damals 16 Jahre alte Anton Maria Keim entkam nur knapp dem Tod. Für SWR.de erinnert er sich.
SWR.de: Herr Dr. Keim, denken Sie noch oft an den 27. Februar 1945?
Dr. Anton Maria Keim: Dieser Tag bleibt mir bis heute in leidvoller Erinnerung. Ich werde nachts manchmal wach und weiß gar nicht, warum ich noch lebe. Ich zucke heute noch zusammen, wenn ich eine Sirene höre oder wenn mich etwas an Flakfeuer erinnert. Das Knistern und das Brennen der Stadt bleibt mir ewig in Erinnerung.
Was haben Sie gemacht, als der Fliegeralarm Sie überraschte?
Ich war damals untergetaucht, um weder zum Fronteinsatz eingezogen noch deportiert zu werden (Anm. der Redaktion: Keims Großmutter war Jüdin).
Nachmittags war ich mit dem Fahrrad in der Mainzer Innenstadt unterwegs, um mich in zwei Buchhandlungen umzusehen, in denen es alte und verbotene Bücher gab. Als der Fliegeralarm um kurz nach 16 Uhr losging, wollte ich mich in den Osttürmen des Doms in Sicherheit bringen. Ich war auf der Höhe des Proviantamtes und fuhr eilig los, geriet aber am Schillerplatz in den Bombenhagel.
Ich habe dort den Angriff im Hausflur der Elsässer Bank verbracht. Aus dem Keller unter mir drang Geschrei: Gas- und Wasserleitung waren geplatzt und die Leute ertranken und erstickten. Ich hatte Glück, ich konnte nach diesen furchtbaren 20 Minuten mit einer leichten Rauchvergiftung auf meinem Fahrrad mit Mühe und Not aus dem brennenden Mainz herauskommen - auch wenn bis heute nicht genau weiß, wie.
Wo sind Sie hingefahren?
Ich wohnte damals in Hechtsheim. Von der Hechtsheimer Höhe aus habe ich die brennende Stadt gesehen, wie eine einzige Fackel, die sich nach oben zusammenschloss. Ich habe wie ein Kind geheult. Uns war damals klar: Das ist das Ende von Mainz. Die Stadt war kaputt und blieb es über Jahre. Der Dom blieb stehen - ein wahres Wunder! Er war das Symbol für Beständigkeit.
Im Kapuzinerkloster kamen damals 41 Schwestern ums Leben. Vielleicht haben diese Märtyrerinnen dafür gesorgt, dass ich überlebt habe.
SWR.de: Waren unter den Opfern auch Bekannte von Ihnen?
Dr. Anton Maria Keim: Ja, eine ganze Menge. Unter anderem Schulkameraden, die erstickten oder nicht rechtzeitig in den Keller kamen. Zwischen dem Alarm und dem ersten Bombenteppich lagen ja nur Minuten. Der Schillerplatz war noch voll von Leuten, mit Kindern und Kinderwägen, die sich in die Keller flüchten wollten. Der Platz hatte damals ein Holzpflaster. Die eingebrannten Leichen waren noch monatelang zu sehen. Von den Dächern tropfte geschmolzenes Zinn, den Leichendunst habe ich heute noch in der Nase. Man sagt, es gab 1.200 Tote, aber wer weiß das schon so genau. Es wurden noch Jahre später Leichen ausgegraben.
Wie haben Sie das Erlebnis verarbeitet?
Man war froh, überlebt zu haben und bangte den letzten Kampfhandlungen zwischen der US-Armee und der fanatischen SS entgegen. In den letzten Tagen wütete noch einmal die SS und erschoss drei Familienväter, die die weiße Fahne gehisst hatten. Mein Onkel gehörte zu den Opfern. Als der erste Panzer in Hechtsheim einzog, waren wir beglückt. Wir haben die Amerikaner als Befreier von Bomben und Terror begrüßt. Es war eine große Erlösung. Die Amerikaner waren von dieser Begrüßung völlig überrascht.
Wie haben diese Erfahrungen Ihr Leben geprägt?
Sehr stark, ich war als Sozialdemokrat und Pazifist immer wieder tätig in der Friedensbewegung. Ich war ein Gegner der Aufrüstung. Und ich kann nicht verstehen, dass wir aus Bündnisverpflichtungen wieder in den Krieg ziehen müssen.
Kann man die Luftangriffe auf deutsche Städte mit den Angriffen der Wehrmacht auf englische Städte wie Coventry vergleichen?
Der totale Luftkrieg ist von den Deutschen begonnen worden. Die Nazis haben gesagt, man werde englische Städte ausradieren wie Coventry, "coventrisieren". Ich bin kein Freund davon, dass das eine die Rache des anderen ist. Aber eins hat schon ursächlich mit dem anderen zu tun. Das entschuldigt nicht den Luftkrieg des "Bomber-Harris"(Anm. der Redaktion: Arthur Harris war damals Oberkommandant der britischen Bomberflotte, der auch die Bombardierung von Dresden befahl) zur Demoralisierung der deutschen Bevölkerung. Aber man muss wissen, wie die damaligen Verhältnisse waren, einschließlich des Massenmordes an den Juden.
Was denkst du?
- Welche Auswirkungen hat die Erfahrung des Luftangriffes noch heute auf Zeitzeugen wie Dr. Keim?
- Dr. Keim spricht von der Zielsetzung der Nazis, englische Städte zu „coventrisieren“. Erkläre, was damit gemeint ist. Weiterführende Informationen findest du zum Beispiel hier.
- In dem Interview erzählt Anton Maria Keim, wie er als 16-jähriger den 27. Februar in Mainz erlebt hat. Versetze dich in seine Lage und stelle dir vor, du hättest als Jugendlicher den Luftangriff in der Stadt miterlebt. Schreibe in einem Tagebucheintrag auf, was dir widerfahren ist. (Du kannst dabei beschreiben, wo du dich aufgehalten hast, als der Alarm ausgelöst wurde, wohin und wie du dich gerettet hast, wer bei dir war und was du erlebt und gefühlt hast.)